Wie Ratingagenturen Neuwahlen bewerten

Hot Topic ÖSTERREICH: Ron Slomovits veröffentlicht in Der Standard 22. Mai 2017

Nervosität über Personalwechsel in der Spitzenpolitik nicht nur bei den Wählern

Für das Rating der Republik sind persönliche Befindlichkeiten österreichischer Spitzenpolitiker wohl nicht die wichtigste Komponente. Die Österreich-Ratings basieren im Wesentlichen auf der stabilen Wirtschaft, reifen institutionellen Strukturen und einer geringen Gefahr der kurzfristigen Risiken. Gut, der hohe Schuldenstand unterstützt die Ratings nicht ganz, Risikoanalysten sehen da aber keine große Gefahr für die Staatsfinanzen.

Ad hoc wechselnde Individuen an der Spitze der einstigen Großparteien und auseinanderbrechende Koalitionen dürften internationale Ratingagenturen schon eher nervös werden lassen. Risikoanalysten werden erst einmal zu verstehen versuchen, in welche Richtung der neue Parteichef der ÖVP marschiert, frei nach Emmanuel Macron. Steht Sebastian Kurz für eine 180-Grad-Wende, die auf einer langfristigen Strategie fußt und Österreich in wesentlichen politischen Agenden voranbringt, oder hat er diese langfristige Strategie noch gar nicht und fordert Neuwahlen, um von der komplizierten Sachpolitik abzulenken – in der Hoffnung, den Glanz des Neuen in der Wahlurne einzufangen?

Dass Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) gegen Neuwahlen war, beruht auf der Vermutung, dass ihm links der Mitte die Partner wegbröckeln und er so bei baldigen Koalitionsverhandlungen in Richtung FPÖ getrieben würde – was ein Kriterienkatalog der Sozialdemokratischen Partei (noch) nicht vorsieht. Und nun ist es auch amtlich, dass die Grünen für interne Umstrukturierungen mehr Zeit aufwenden (müssen), als für Sachpolitik und die Vorbereitung von Neuwahlen.

Verunsichert sind nicht nur die Bürger. Die mit der Österreich-Bonität betrauten Risikoanalysten internationaler Ratingagenturen stellen sich neuerdings die Frage, wie Österreich in zehn Jahren politisch aussehen mag.

Auswirkungen persönlicher Entscheidungen von Parteichefs fließen stärker in internationale Ratings ein, als es manchem Spitzenpolitiker dieser Tage recht sein mag.

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